Mehrfach hat der Bischof von Limburg, Georg Bätzing, sich für Reformen in der Kirche ausgesprochen. Das wäre grundsätzlich kein Fehler, die Cluniazensische Reform hat der Kirche gut getan, und das Zweite Vatikanische Konzil war richtig. Nicht daß überhaupt reformiert werden soll, ist falsch – nur die Art der Reform, die diesem Bischof vorschwebt, befremdet nicht nur mich.
In einem Punkt stimme ich Bischof Bätzing zu. In einem Interview im November 2021 sagte er: „Ich bin 60 Jahre alt. Die Zeit der Ängstlichkeit ist vorbei. Das war mal anders. Es gab durchaus Zeiten, da war ich ängstlicher, zurückhaltender.“ Das kann ich Wort für Wort auch sagen. Also, unter Gleichaltrigen, Herr Bischof, und ganz ohne Angst:
Die von Ihnen abgenickten Leitlinien sexualpädagogische Kompetenz in der Pastoral führen in die Irre.
Es fängt ganz gut und richtig an. Der Mensch ist ein sexuelles Wesen, Sexualität ist eine Gottesgabe, man muss ohne Angst darüber sprechen können. Das ist alles mit Bibel und Katechismus vereinbar. Dann wird eine positive Besetzung von Sexualität seitens der Kirche erwünscht – und da fängt es an, mir Bauchschmerzen zu verursachen. Nicht weil eine solche positive Besetzung falsch wäre; ich bin ganz dafür! Aber mit dieser Ausdrucksweise wird so getan, als gebe es diese positive Sicht der Sexualität in der Kirche noch nicht, als müsse Bischof Bätzing mit seinen Getreuen darum kämpfen. Das ist Unsinn. Die Kirche sieht Sexualität von Anfang an als Gottesgabe, so heilig, daß sie den geschützten Raum der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau erhält. Und das soll nun im Folgenden aufgeweicht werden.
Für den flüchtigen Leser sieht alles ganz katholisch aus. Grenzverletzungen, insbesondere Gewalt, sind verboten, Treue und Verantwortlichkeit sind erwünscht, Ehe hat mit lebensspendender Kraft zu tun. Für dies alles braucht man kein neues Dokument, sondern einfach nur das, was die Kirche schon immer sagt.
Aber Punkt 3 der Leitlinien sagt: „
Es gibt eine Vielfalt in der sexuellen Identität und Orientierung. Der wertschätzende Umgang mit diesen Unterschiedlichkeiten und Diversität soll in den Pfarreien und Einrichtungen aktiv gefördert werden. Die Wahl der Lebensform ist als ein Ergebnis einer individuellen und persönlichen Entscheidung zu respektieren. Es ist anzuerkennen, wenn Partnerinnen und Partner in gegenseitiger Treue und Fürsorge Verantwortung füreinander übernehmen. Darüber hinaus begrüßen wir es, wenn Paare ihre Partnerschaft unter den Segen Gottes zu stellen wünschen.
Daß sexuell anders als binär gepolten Menschen Respekt entgegenzubringen ist, ist ebenfalls nichts Neues (siehe Katechismus). Aber ich kann als Katholilk eben nicht jede „Lebensform“ frei wählen. Wenn ich behaupte, jede Art der sexuellen Orientierung sei in sich gut, kann ich nicht gleichzeitig sagen, daß die Ehe mit lebensspendender Kraft zu tun hat. (Ich erspare mir hier einen Grundkurs in Biologie und gehe davon aus, daß meine Leser den schon hatten.) Auch der Passus über das Verbot von übergriffigem Verhalten und sexueller Gewalt wird aufgeweicht, wenn ich gleichzeitig jedwede sexuelle Orientierung als gleich gut ansehe. Es gibt nun einmal Menschen, die sich zu Kindern und Jugendlichen hingezogen fühlen oder die Gewalt als stimulierend empfinden. Nach kirchlicher Auffassung sind diese Menschen ebenso wie Homosexuelle zur Keuschheit berufen. Auch vorehelicher Sex ist nicht in Ordnung, weil ihm eben der Schutzraum der Ehe fehlt. Irgendeine dieser Spielarten zu segnen, wie die Leitlinien vorschlagen, ist mithin unsinnig.
Die Kirche macht einen klaren Unterschied zwischen der bloßen Neigung und dem Ausleben: Für eine sexuelle Neigung, die nach kirchlicher Lehre nicht in Ordnung ist, kann der Betroffene in der Regel nichts; das Ausleben hat zu unterbleiben. Man muss dieser Lehre nicht folgen. Es ist in unserer Zeit in zahlreichen Ländern (darunter allen deutschsprachigen und den meisten europäischen) erlaubt, schwul oder lesbisch zu sein, mehr als einen Sexualpartner zu haben, untreu zu sein (sofern man ggf. Alimente und Unterhalt zahlt) und vieles andere mehr. Es ist nur eben nicht mit der katholischen Lehre vereinbar. Ein katholischer Bischof, der etwas anderes lehrt, muss sich fragen lassen, warum er katholischer Bischof ist. Müsste er ja nicht bleiben. Es steht ihm frei, die katholische Kirche zu verlassen und einer anderen Kirche beizutreten oder eine noch andere Kirche zu gründen.
Bei den von Bischof Bätzing nicht nur in diesem Dokument erwünschten Reformen (zu denen auch die Abschaffung des priesterlichen Zölibats und die Weihe von Priesterinnen gehören – dazu habe ich bereits geschrieben) käme etwas heraus, das wohl seinem Traum von Kirche entspricht. Für Menschen, die die Kirche ernst nehmen und in ihr beheimatet bleiben wollen, ist es eher ein Alptraum. Zum Glück ist dieser Bischof nicht die Weltkirche. Nicht einmal die Kirche in Deutschland.
Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich falsch liege, aber mir scheint die katholische Sexuallehre noch sehr auf „seid fruchtbar und mehret euch“ fixiert. Ich las vor nicht allzulanger Zeit von einem Paar katholischer Christen, denen die kirchliche Trauung verwehrt wurde, weil sie beide den gleichen, rezessiven, Genfehler tragen, der zu schweren Mißbildungen beim Kind führt, wenn er denn aktiv wird (wie es bei zwei latent betroffenen Elternteilen relativ wahrscheinlich ist), und aus diesem Grund – den Kindern diese schwere Mißbildung nicht zumuten wollend – keine leiblichen Kinder haben wollten. Was ist denn mit dem Wert der Sexualität innerhalb des Paares, auch ohne Fortpflanzung?
Angesichts dessen, was die staatlich lizenzierte Ehe ist und was alles sie nicht ist, u.a. im Hinblick auf das lebenslange Engagement, kann ich mir durchaus vorstellen, einen Bund zu segnen, der nicht vor dem Standesbeamten, wohl aber, erhellten Gewissens, vor Gott geschlossen wird (und deshalb auch von staatlichen Stellen nicht als „Ehe“ angesehen würde). In Deutschland ist das staatsrechtlich inzwischen möglich, kirchlich m.W. nicht vorgesehen; in Frankreich steht es weiterhin unter Strafe. (Das ist auch gewiß nicht, was Bätzing in dem zitierten Absatz meint!)
Was die Libertinisierung angeht, wo nichts mehr als gegeben oder vorgegeben akzeptiert wird, sondern jeder sich nur noch selbst und referenzlos definieren will – da bin ich nah bei Ihrer Meinung. Die Zölibatsfrage sehe ich prinzipiell anders, aber das ist ein Thema, das der Kompetenz jeder Kirche, ihre Struktur selbst zu regeln, unterliegt. Fragwürdig wird es nur, wenn versucht wird, die Zölibatspflicht der Priester auf ein angebliches biblisches Gebot zurückzuführen… aber das ist ja ein anderes Thema.
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Der beschriebene Fall ist sehr traurig und ich weiß keine Lösung. Tatsächlich stimme ich aber der Kirche zu, dass Sexualität die Offenheit für Kinder beinhalten muss. Bei einem Paar, das wegen Zeugungsunfähigkeit keine Kinder haben kann (also in einem anderen Fall als dem beschriebenen), spricht übrigens nichts gegen die Eheschließung, sofern nicht ein Partner dem anderen etwas derartiges verheimlicht hat.
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Unpopular opinion alert: Ich denke, die Lösung, die die Kirche hier vorsieht, ist daß sich die beiden freundschaftlich trennen, jeder sich einen Partner sucht, der dieses rezessive Allel nicht hat, und sie sich jede Weihnachten eine Karte schreiben (denn man darf ja auch mit anderen Frauen als der eigenen freundschaftlichen Umgang pflegen). Und wer keinen findet oder das nicht will, der lebt halt als Single.
Aber wenn ein Paar halt tatsächlich *richtigen* Sex zwischeneinander *ganz* ausschließt (das ist hier nämlich auch der Grund dafür), dann ist das halt auch keine Ehe. (Deswegen ist es *schon* eine Ehe, wenn die beiden bloß durch einen natürlichen Zufall zeugungsunfähig sind, aber nichts positiv dazu tun, ihren Sex unfruchtbar zu *machen*.)
Was den Zölibat betrifft: Versuche, diesen auf ein direktes biblisches Gebot zurückzuführen, wären in der Tat absurd; es sind mir aber keine bekannt.
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Diese Ehe- und Familien-„Ethik“, die das Paar, das als solches Ebenbild Gottes ist (Gen.1), auf Zuchtvieh reduziert, ist nicht nur biblisch absolut unhaltbar, sondern auch zutiefst unmenschlich und kann nur von Menschen erdacht worden sein, die weder menschliche noch göttliche Liebe je selbst erfahren haben. Misanthropen.
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Nur dass diese Reduzierung gar nicht stattfindet. Denn die katholische Kirche sieht Ehen, die ungewollt kinderlos bleiben, weiter als Ehen an.
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Im übrigen kenne ich zahlreiche liebevolle Menschen, die die katholische Lehre bejahen. Auch Geistliche.
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Zum Thema „Eheschließung ohne Zivilwirkung“: Davon rät die Kirche ab (für den Allgemeinfall sehr zu Recht), führt sie in Deutschland aber doch durch, seit sie erlaubt ist (in den Ausnahmefällen, in denen das vorkommt, ebenfalls sehr zu Recht: und ja, das „sehr zu Recht“ bezieht sich auch auf schnöden Geldvorteil etwa durch Witwenrenten, zumindest solange der Staat das *uneheliche* Zusammenleben *nicht* sanktioniert). Ich meine auch, schonmal von dem einen oder anderen Fall gehört zu haben, wo das praktisch vorkam.
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>>Die Wahl der Lebensform ist als ein Ergebnis einer individuellen und persönlichen Entscheidung zu respektieren.
Faszinierend.
Ist dem Herrn Bischof entgangen, daß wenigstens innerkirchlich (naja, irgendwieschonnoch-innerkirchlich) die Debatte so geführt, daß die sexuell Devianten ihre Lebensform eben *nicht* gewählt hätten und deswegen das Recht hätten, nach ihrer *vorgefundenen* Art zu leben? Sagt nicht der Katechismus zu Recht, daß den Homosexuellen mit Achtung und Takt zu begegnen ist, weil sie ihr Sosein eben *nicht* (d. h., auch wenn die Einrede, dies sei ihre von Gott so geschaffene natur, nicht zieht, doch nicht durch bewußte, zurechenbare Entscheidung) selbst gewählt hätten? Auch wenn das die widernatürlichen Handlungen natürlich nicht erlaube?
Bei Bischof Bätzing entscheiden sie jetzt auf einmal doch wieder. Tja, dann wären sie auch voll verantwortlich: man kann die Torte nicht gleichzeitig aufessen und in den Kühlschrank tun, sagt der Engländer.
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Vielen Dank für den Nachhilfeunterricht, den Sie dem nicht mehr katholischen und leider nicht aus der Kirche ausgetretenen Erzbischof und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Bätzing erteilt haben. Vermutlich wird dies leider erfolglos bleiben. Zum Thema Sexualität und gefälschtem biblischen Regenbogen wünsche ich mir, dass endlich im Schlafzimmer bleibt, was ins Schlafzimmer gehört. Auch dieser Wunsch wird unerfüllt bleiben. Bleiben wir trotzdem katholisch. Das Vaterunser beende ich immer mit den Worten: „… bewahre uns vor dem Bösen – das ist Satan – und bewahre uns vor Verwirrung und Sünde!“
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Gott verfolgt mit einigen unserer Organe einen bestimmten Zweck. Sie werden oft stark missbraucht, zum Teil ausgesprochen eklig. Und das soll ich respektieren im Sinne von hochachten? Nein, das kann ich nicht.
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