„Beten kann ich auch im Wald!“

Den Satz hört man oft in dem Sinne, daß die Kirche nicht nötig ist. Das ist natürlich Unsinn. Daß und warum die Kirche nötig ist, habe ich bereits mehrmals erklärt.

Tatsächlich ist das, was der moderne Mensch „die Natur“ nennt – Wälder, Berge, Meer, Heide und so weiter – in der Regel nach unseren Maßstäben „schön“ und auch ehrfurchtgebietend, und da kommen bei vielen Menschen religiöse Gefühle auf, selbst wenn sie sonst nicht viel von Religion halten. Auch gibt es Bekehrungserlebnisse in „der Natur“ (bei mir waren es die Alpen). Aber gegen den Satz „Beten kann ich auch im Wald / in der Natur / in den Bergen“ habe ich dennoch Einwände.

Zunächst ist er banal. Wer beten kann, kann das natürlich auch in den Bergen oder am Meer oder im Düppeler Forst. Das ist genau so wahr wie „Beten kann ich auch beim Schlangestehen in einem Behördengebäude / beim Staubsaugen / auf dem Weg zur Arbeit“. Das mit dem Gebet in der Natur ist ein romantisch überhöhtes Denken an das nach dem Zeitgeschmack als wahr, gut und schön Akzeptierte. „Boah, Matterhorn. Groß, hoch, eindrucksvoll.“ Oder: „Wow, Schwarzwaldbäume. Groß, hoch, eindrucksvoll.“ Sehr oft ist es nur ein kleiner Schritt vom Beten in der Natur zum Beten zur Natur.

Nun ist zwar eine Bakterienkultur in einer Petrischale auch „Natur“, und bei einigen Arten empfiehlt es sich durchaus, vor der Arbeit damit Gottes Schutz und Segen zu erbitten. Dennoch geht der Biologe nicht „in die Natur“, wenn er zur Arbeit im Labor geht. Alles Essbare ist Natur, trotzdem sagt man nicht „Ich gehe in die Natur“, wenn man in ein Lebensmittelgeschäft geht, und betet dort in der Regel auch nicht (obwohl das Schlangestehen an der Kasse wieder eine Gelegenheit zum stillen Gebet ist). Der Ausdruck „die Natur“ ist im Zusammenhang mit „rausgehen“ oder „beten“ die Vorstellung der ehrfurchtgebietenden, aber im Großen und Ganzen dem Menschen freundlich gesonnenen Natur. Das ist natürlich romantischer Quatsch, die Natur hat gar kein Interesse am Menschen,wenn man von hungrigen Mücken und Bären mal absieht.

Bis weit in die Neuzeit hinein war die unkultivierte Natur etwas Feindliches, Gefährliches, was man besser mied. War man doch „in der Natur“, konnte sie selbstverständlich zu Gebeten inspirieren wie „Lieber Gott, lass mich diese Reise überleben“. Paul Gerhardts entzückendes Sommerlied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ ebenso wie Friedrich von Spees fröhliches katholisches Gegenstück „Lob Gottes aus Beschreibung der Sommerzeit“ beschreiben die kultivierte Natur, Bauernhöfe, Gärten, Felder. In Wäldern suchte man keine Freude und fand man kein Loblied. Natürlich wurde auch auf dem Meer, auf Almen und in Köhlerhütten, also „in der Natur“, gebetet – aber romantisch war da gar nichts.

Die Kultivierung der Wälder, das Anlegen von Wegen, die Arbeit der Alpenvereine, die Wandervogelbewegung haben dazu geführt, daß „Natur“ eine Chiffre für „Wohlgefühl, gepaart mit Ehrfurcht“ wurde und leider auch ein numinoses Etwas, das einen ahnen lässt, da muss irgendwas Göttliches sein. Die Kirche ist da sehr viel klarer.

Ich habe übrigens nichts dagegen, „in der Natur“ zu beten. Sehr eindringlich ist es mir mal gelungen während eines schweren alpinen Gewitters in großer Höhe – keine Erfahrung, die ich irgendjemandem wünsche. Aber als Berlinerin weiß ich, daß auch die 17 Kilometer Radweg zwischen Friedenau und Alt-Tegel – nicht im mindesten romantisch – gute Gelegenheiten zum Gebet geben: Dank (ich habe ein Fahrrad, meine Knie schaffen das, ich darf nachher liebe Freunde sehen), Bitte um Bewahrung (vor Glasscherben, vor Rasern, vor abbiegenden Lastwagen, vor eigener Unachtsamkeit), Bitte für die Männer in dem Gefängnis, an dem ich vorbeifahre, Dank für das Wetter oder das Regencape… Immer mal Bitte um Bewahrung vor Teilen der Natur, zum Beispiel vor Coronaviren. Und immer wieder Bitte um Frieden.

Beten kann ich auch in der Kirche. In der Messe, wo der Herr sich mir ausliefert, mich nährt und stärkt. In der Anbetung, wo ich vor Ihm knie und staune und danke, daß Er in Gestalt der Hostie leiblich da ist. Das sind die beiden wundervollen, stärkenden Gebetsformen, die ohne die Kirche gar nicht möglich wären.

#betenwirgemeinsam

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Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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8 Antworten zu „Beten kann ich auch im Wald!“

  1. akinom schreibt:

    Ich habe mir immer mehr angewöhnt das Jesusgebet als „immerwährendes Gebet“ zu pflegen .

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  2. Thomas Jakob schreibt:

    Guter Beitrag! Vor allem für katholische Christen. Ob er andere, insbesondere die, die solche Sätze wie in der Überschrift sagen, genau so erreicht, weiß ich aber nicht.

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    • Claudia Sperlich schreibt:

      Wenn es nur einen erreicht, der sich mal Gedanken über diesen oft dahingesagten Satz macht, ist es schon gut. Ansonsten ist der Artikel auch eine Argumentationshilfe für Katholiken.

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  3. Herr S. schreibt:

    AUCH beten kann man vielerorts – aber ein würdig geschaffenen Kirchenraum mit entweder der nötigen Stille zur entsprechenden bietenden Sammlung oder aber zusammen mit anderen Betenden hat nun einmal eine gar nicht hoch genug zu schützende Qualität und Voraussetzung für das persönliche Beten.

    Ich bin deshalb auch nicht gerade angetan von gelegentlichen Überlegungen (sogar seitens des Erzbischofs!), hier im Erzbistum Hamburg manche Kirchen ggf. abzuschaffen und gar platt zu machen zugunsten sog. Mehrzweckräume, in denen zu bestimmten Zeiten Gottesdienst gefeiert wird und zu anderen Zeiten andere Aktivitäten bis hin zum „gemütlichen Kaffee schlabbern“ stattfinden.

    Das wäre eine Rückkehr zu vorkriegsähnlichen Zuständen, als hier in der damals tiefsten katholischen Diaspora Hl. Messen allenfalls sonntags in Schulzimmern u.ä. stattfinden mussten.

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    • Herr S. schreibt:

      Sorry Schreibfehler:
      „betenden Sammlung“, nicht bietenden…

      und

      „schätzende Qualität“ nicht „schützende“

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    • Claudia Sperlich schreibt:

      Ein guter sakraler Bau (gleich ob alt oder modern, die Betonung liegt auf gut) ist eben etwas anderes als ein Mehrzweckraum.
      Eine Kirche darf selbstverständlich ein Gebetsraum sein, in dem auch Konzerte stattfinden. Ebenso wie man in einem Konzertsaal auch beten darf. Aber ich gebe Ihnen völlig recht, daß wir Kirchengebäude brauchen, die eben genau das sind und nicht Mehrzweckräume.
      Das Problem ist natürlich, daß die Instandhaltung von Gebäuden viel Geld kostet und bei einem Schwund von Gläubigen das ein Problem darstellt. Und da habe ich keine Lösung parat.

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      • Herr S. schreibt:

        Bin mit Ihnen d’accord, was die Notwendigkeit geeigneter Kirchen angeht.
        Immerhin sind wir doch wohl eines der wohlhabendsten wenn nicht gar reichsten Länder auf dieser Erde.
        Wenn Menschen früherer Zeiten irgendwo neu sich ansiedeln, war es für sie selbstverständlich alsbald zumindest in größeren Siedlungen eine Kirche zu bauen, weil sie noch wussten: An Gottes Segen ist alles gelegen.

        Erst heute stellt man kirchl. Gebäude hierzulande auf den Prüfstand, leistet sich aber gleichzeitig in Deutschland den Luxus von 27 eigenständigen Bistümern einschl. Der jeweiligen personalinteniven Ordinariate mit hohen Personalkosten.
        Ich erinnere: Nur gut ein Viertel der deutschen Bevölkerung ist überhaupt katholisch. Der Staat kommt für derzeit 82 Millionen Bürger also rund zahlenmäßig der dreifachen Personenzahl der Deutschen Katholiken mit 16 Bundesländern aus.
        Zudem tummeln sich in den Bistümer z.B. ziemlich viele gutbezahlte sog. Referenten und Referentinnen u.ä., die wenn sie denn überhaupt mal in Pfarrgemeinden auftreten, mindestens z.T. recht zweifelhafte Weisheiten verbreiten.
        Hier wäre zumindestens nach meiner Meinung eine Menge an primärem Einsparpotential als an Kirch- und Gottesraumbauten.
        Das habe ich übrigens auch schon unserem Erzbischof geschrieben, weil hier im Erzbistum Hamburg auch schon seit einiger Zeit eine sog. „Vermögens- und Immobilien-Regorm“ herumgeistert bzw. irrlichtert.

        Ich habe vor einigen Jahren noch unter seinem Vorgänger erlebt, wie die Kirche einer zwar kleinen und relativ armen aber sehr aktiven Nachbarpfarrgemeinde regelrecht platt gemacht wurde mit dem Ergebnis, dass sich die Gläubigen wohl total frustriert und desillusioniert verstreut haben in alle Winde und man sie nicht mehr sieht. Tolle Pastoral, sowas!

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