Daß Gott Mensch wird, und nicht etwa, wie in der griechischen Sage, erwachsen, gerüstet und gewappnet dem Haupt des göttlichen Vaters entspringt, sondern von einer Frau geboren wird wie jeder Mensch, daß er mit den Bedürfnissen eines Neugeborenen nach Muttermilch, Wärme und Geborgenheit in einer provisorischen Unterkunft liegt, ist sicher ein Wunder. Gott will uns erlösen und uns an Sich ziehen um den Preis der Machtlosigkeit in der Krippe (und später der Machtlosigkeit am Kreuz). Dabei ist der bloß menschliche Anteil, daß ein Baby Menschen an sich zieht, ganz alltäglich. Das ist die Macht der Kleinen: Wer sie anschaut (und nicht vollkommen verdreht und boshaft ist, was leider auch vorkommt), dem wird warm ums Herz, der bekommt ein weiches, aber nicht unangenehmes Gefühl in der Magengegend, der lächelt unwillkürlich, dessen Stimme wird höher. Babys können das machen, auch wenn sie gerade nicht der Erlöser der Welt sind.
Aber die Menschwerdung Gottes geschah schon neun Monate vorher. Und da ist für mich das Wunder umso größer, je kleiner der Heiland ist. Die ohne menschliches Zutun befruchtete Eizelle ist ja schon der menschgewordene Gott! Noch völlig der sinnlichen Wahrnehmung entzogen, sogar für Maria, und doch ganz Mensch (und ganz Gott ohnehin) durchläuft Er die frühen Lebensabschnitte, wird Zelle, Morula und Embryo, zunächst ohne irgendwelche Wahrnehmung, mit beginnendem Tastsinn in der achten Woche. Da ist Gott Mensch und doch nicht wahrnehmbar, ist abhängig und gefährdet, und die einzige Macht, die der Herr jetzt hat, ist die, Marias Gefühle durcheinanderzubringen. (Sauer eingelegtes Gemüse gab es bereits damals, man darf sich vorstellen, daß die Allerseligste Acetaria naschte.)
Mir den unendlichen Gott so zu vorzustellen – als ein zunächst gar nicht wahrnehmbares Wesen, in der Form (wenn man es denn sehen könnte) alles andere als anrührend oder niedlich, ist mir kaum möglich. Sicher, ich glaube, daß es genau so war, daß Er genau so war, und ich kann diesen Glauben aus der Heiligen Schrift begründen. Dennoch fordert mir die Vorstellung von Gott als sich teilende Zelle, als Morula, als millimeterkleiner Embryo noch viel mehr ab als die Vorstellung des göttlichen Kindes in der Krippe.
Wir feiern das Hochfest der Menschwerdung Jesu Christi im Winter mit Pauken und Trompeten, mit größtmöglichem Jubel, mit einer Festzeit, die mindestens bis zum 6. Januar dauert, und das ist richtig, denn wir feiern Gottes sichtbare Ankunft in der Welt. Neun Monate früher, von vielen ignoriert, hat die Kirche die Verkündigung des Herrn gefeiert und damit Sein noch fast unbemerktes Kommen in die Welt. Fast – denn Johannes, damals selbst noch im Mutterleib, spürte die Anwesenheit des erst kürzlich eingenisteten Heiligen.
Kann man das begreifen? Weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne.
Kann man das glauben? Staunend und dankbar, ja.