Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt finden derzeit politische Debatten statt, die auf die Beseitigung der §§ 218 und 219 abzielen. „Weg mit § 218“ war bereits in meiner Jugend ein oft gehörter Slogan – er wird aber nicht besser durch sein Alter.
Hier geht es zu einer von 1000 plus gestarteten Petition gegen die Legalisierung der Abtreibung. Nähre Erklärungen dazu hier.
Zunächst das Rechtliche – was steht da überhaupt bzw. steht da nicht mehr, wenn die Paragraphen wegfallen?
§ 218 StGB (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder 2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht. (3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. (4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft.
Also: Wer einen lebenden ungeborenen Menschen in der Lebensphase zwischen Einnistung und Geburt beseitigt, begeht derzeit noch eine Straftat, auch wenn sie in der Rechtspraxis meist folgenlos bleibt. In dem Augenblick, wo das nicht mehr als Straftat gilt, ist eine Abtreibung auch gegen den Willen der Schwangeren in der Regel eine leichte Körperverletzung der Schwangeren, mehr nicht. Da kann man schon mal straffrei ausgehen, wenn außer einem Tag Unwohlsein gar nichts passiert.
§ 218b StGB (1) Wer in den Fällen des § 218a Abs. 2 oder 3 eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß ihm die schriftliche Feststellung eines Arztes, der nicht selbst den Schwangerschaftsabbruch vornimmt, darüber vorgelegen hat, ob die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 oder 3 gegeben sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. Wer als Arzt wider besseres Wissen eine unrichtige Feststellung über die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 oder 3 zur Vorlage nach Satz 1 trifft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. Die Schwangere ist nicht nach Satz 1 oder 2 strafbar. (2) Ein Arzt darf Feststellungen nach § 218a Abs. 2 oder 3 nicht treffen, wenn ihm die zuständige Stelle dies untersagt hat, weil er wegen einer rechtswidrigen Tat nach Absatz 1, den §§ 218, 219a oder 219b oder wegen einer anderen rechtswidrigen Tat, die er im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch begangen hat, rechtskräftig verurteilt worden ist. Die zuständige Stelle kann einem Arzt vorläufig untersagen, Feststellungen nach § 218a Abs. 2 und 3 zu treffen, wenn gegen ihn wegen des Verdachts einer der in Satz 1 bezeichneten rechtswidrigen Taten das Hauptverfahren eröffnet worden ist.
Nach Wegfall dieses Paragraphen kann ein Arzt, der z.B. fälschlich eine extrem gefährliche gesundheitliche Situation für Mutter und / oder Kind festgestellt hat und das Kind deshalb zur Abtreibung freigibt, nicht bestraft werden. (Dass man aus sehr guten Gründen auch dann gegen Abtreibung sein kann, wenn das Kind krank oder behindert ist, steht noch auf einem anderen Blatt.)
§ 218c (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, 1. ohne der Frau Gelegenheit gegeben zu haben, ihm die Gründe für ihr Verlangen nach Abbruch der Schwangerschaft darzulegen, 2. ohne die Schwangere über die Bedeutung des Eingriffs, insbesondere über Ablauf, Folgen, Risiken, mögliche physische und psychische Auswirkungen ärztlich beraten zu haben, 3. ohne sich zuvor in den Fällen des § 218a Abs. 1 und 3 auf Grund ärztlicher Untersuchung von der Dauer der Schwangerschaft überzeugt zu haben oder 4. obwohl er die Frau in einem Fall des § 218a Abs. 1 nach § 219 beraten hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. (2) Die Schwangere ist nicht nach Absatz 1 strafbar.
Das alles wird nach Wegfall des § 218 obsolet. Der Arzt, der gar nicht beraten muss, braucht der Frau nicht zuzuhören. Er muss nicht erfahren, dass der Partner, die Eltern, der Onkel, der Zuhälter oder wer immer ein Interesse an der Abtreibung hat. Er muss ihr nicht sagen, was durch eine Abtreibung mit dem Kind und ihr geschieht, braucht nicht mal genau zu wissen, in welchem Monat die Frau schwanger ist – er kann einfach loslegen.
§ 219 StGB (1) Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt. Die Beratung soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzuhelfen. Das Nähere regelt das Schwangerschaftskonfliktgesetz. (2) Die Beratung hat nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu erfolgen. Die Beratungsstelle hat der Schwangeren nach Abschluß der Beratung hierüber eine mit dem Datum des letzten Beratungsgesprächs und dem Namen der Schwangeren versehene Bescheinigung nach Maßgabe des Schwangerschaftskonfliktgesetzes auszustellen. Der Arzt, der den Abbruch der Schwangerschaft vornimmt, ist als Berater ausgeschlossen.
Fällt dieser Paragraph, fällt der Schutz des Ungeborenen. Damit könnte der „Berater“ einer Schwangeren in Not auch der Arzt sein, der die Abtreibung vornehmen will. Oder der „Freund“, der sie schon seit Wochen piesackt, das Kind endlich wegzumachen. Praktisch für zahlreiche Männer: Eine Abtreibung ist wesentlich günstiger als Alimente.
Nun zu den Argumenten. Da kommt immer gerne sofort: Aber wenn das Kind behindert ist oder durch eine Vergewaltigung gezeugt wurde! Dann kann es doch nicht gewollt werden! – Kranke oder behinderte Menschen beseitigen mit dem scheinheiligen Argument, daß sie ja selber nicht leben wollen könnten, ist um kein Haar besser als sie zu beseitigen, weil man eine perfekte Welt will.
Eine Vergewaltigung ist ein furchtbares Verbrechen und sehr traumatisch. Eine daraus entstehende Schwangerschaft ist eine zusätzliche Last für die Frau. Frauen in dieser Situation brauchen Solidarität und Hilfe sowohl materieller als auch seelischer Art. Aber ein durch Vergewaltigung gezeugtes Kind so behandeln, als sei es kein Mensch, ist schlecht und macht nichts besser.
Eltern behinderter Kinder müssen sich längst von wildfremden Menschen unmenschliche Bemerkungen anhören, von denen „Hat man das nicht im Ultraschall gesehen?“ (Subtext: „Warum wurde es nicht abgetrieben?“) noch die harmloseste ist. Das Mobbing von Eltern behinderter Kinder wird immer schlimmer werden, je mehr Abtreibung banalisiert, gar gutgeheißen wird. Arbeitgeber werden ungestraft sagen dürfen „Wenn Sie die Arbeit behalten wollen, treiben Sie ab“.
Selektive Abtreibung wegen des „falschen“ Geschlechts ist in Deutschland noch verboten – und zwar in noch stärkerem Maße als Abtreibung überhaupt (die ja auch verboten ist). Mit einem völligen Wegfall des § 218 wird auch das nicht mehr aufrecht erhalten werden können.
Jetzt stellen wir uns vor: eine Behinderung ist diagnostiziert. Und nun geht es ums Geschlecht. Denn Frauen haben es leider immer noch schwerer im gesellschaftlichen und beruflichen Leben als Männer. Bei Behinderung verstärkt sich der Unterschied. Ein Mann mit einer Behinderung kann immer noch leichter im beruflichen und gesellschaftlichen Leben Fuß fassen als eine Frau mit der gleichen Behinderung. Nach Aufhebung des Abtreibungsverbots wäre dann die Überlegung bei Behinderungen: Wie stark ausgeprägt? und welches Geschlecht? Ein Junge ohne Arme – schlimm, aber andererseits immerhin ein Junge, hat Chancen, darf leben. Ein Mädchen sollte aber mindestens einen Arm haben. – Genau so zynische Überlegungen sind zu erwarten, wenn das Abtreibungsverbot vollständig gekippt wird.
Allerdings betreffen die weitaus meisten Abtreibungen Kinder, die weder behindert noch krank noch durch Vergewaltigung gezeugt sind. Vielmehr gesunde Kinder, die bei einvernehmlichem Sex gezeugt wurden. Verhütungspannen. Die sind dann nur gerade irgendwie nicht passend. Karriereschädlich, teuer, stressig (dies alles sind Kinder generell, und das spricht nicht gegen Kinder). Die wären dann einfach „nicht gewollt“, und weil es scheinbar gar nicht auszudenken ist, daß man ein nicht gewolltes Kind am Ende doch wollen könnte (nicht nur bei meinen Eltern war das so), muss „das“ halt „weg“. Häufig gehörtes Argument: „Aber wenn es doch gar nicht gewollt wird! Dann ist es für das Kind doch besser, nicht geboren zu werden!“ – gern mit einem Sermon verbunden, wie schrecklich Pflegefamilien und Kinderheime sind (sehr ungerecht gegenüber zahlreichen liebevollen Pflegefamilien und Mitarbeitern in Heimen).
Ist es wirklich wünschenswert, das Kind hört, sobald es das versteht: „Wir haben uns bewusst für dich entschieden, weil du gerade so gut in unser Leben passtest! Du hast einfach nicht gestört!“? Werden zu starken, guten, tüchtigen Persönlichkeiten gerade jene, die ihre Existenz dem Umstand verdanken, daß sie gerade nicht unpassend waren? Ich glaube nicht.
Wäre andererseits eine Welt erstrebenswert, in der alles Schwache, Untüchtige, Normabweichende oder nur gerade ungelegen Kommende ausgemerzt wird? Sicher nicht.
Ich bin eine Verhütungspanne. Und als solche schreibe ich dies nicht nur, weil mir der Schutz anderer Menschen am Herzen liegt (was er tut). Ich schreibe auch in meinem eigenen Interesse. Ich hätte „weggemacht“ werden können und wurde es deshalb nicht, weil meine Mutter bereits aus Erfahrung wusste, wie schmerzhaft (keinesfalls nur körperlich) das ist. Lange Zeit hatte ich den Verdacht, Ersatz für das abgetriebene Geschwisterkind zu sein. Auch wenn das nicht stimmt – aus christlicher Sicht nicht stimmen kann -, ist es ein schreckliches Gefühl. Und ich bin damit nicht so besonders. Man kann davon ausgehen, daß zahlreiche jüngere Geschwister Abgetriebener solche Verdächte gegen sich selbst hegen. Und das ist in der ganzen Angelegenheit das geringste Problem.
Die Petition von 1000 plus wird vermutlich kein radikales Umdenken in den Reihen jener Politiker zur Folge haben, aus deren Reihen die Freigabe zur Abtreibung als Menschenrecht gefordert wird. (Ausschließen soll man es natürlich nicht, schon gar nicht so kurz nach Pfingsten.) Das ist Kristijan Aufiero von 1000 plus durchaus klar. Es geht darum, den verantwortlichen Politikern klarzumachen, wie viele Menschen „Hilfe statt Abtreibung“ fordern und bieten – eine relevante Zahl Wahlberechtigter kann den Herren und Damen im Bundestag nicht völlig egal sein. Auch kann diese Aktion den Bekanntheitsgrad guter Hilfsangebote steigern und betroffenen Frauen Mut machen.
Danke für diesen sehr informativen, berührenden und wichtigen Eintrag. Die Petition „1000plus“ habe ich gerne unterzeichnet.
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Bin auch dabei!
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Ich habe gerade unterschrieben, danke für den Hinweis.
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Guter Aufruf! Ich ab‘ ihn jetzt auch auf fb geteilt.
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Danke!
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Danke fürs Verbreiten der Petition!
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Gerne!
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