Was nicht vergleichbar ist

Täglich teilt irgendjemand mir und der Welt mit, daß es Schlimmeres gibt als Corona (das stimmt) und daß deshalb Corona nicht schlimm ist (das stimmt nicht). Dazu werden Statistiken bemüht. Dabei wird dann gezeigt, daß es viel weniger Todesfälle durch Corona gibt als Todesfälle durch Krebs, Autounfälle oder Abtreibung. Dann wird unterstellt, daß Menschen, die Schutzmaßnahmen gegen Corona propagieren, nichts gegen Krebs, Autounfälle oder Abtreibung tun.

Gegen Krebs tue ich tatsächlich nichts. Also gar nichts. Null. Das liegt zum großen Teil daran, daß ich keine entsprechende Ausbildung habe. (Sollte sich allerdings herausstellen, daß das Putzen von Friedhofstoiletten gegen Krebs hilft, tue ich doch was dagegen.)
Gegen Autounfälle hilft, was ich in der Grundschule von einem freundlichen Polizisten gelernt habe: Augen auf im Straßenverkehr! Und nie bei Rot fahren. (Überhöhte Geschwindigkeit schaffe ich mit dem Fahrrad ohnehin nicht.) Ich bemühe mich darum. Daß ich dennoch aus fremder oder eigener Schuld von einem Auto totgefahren werden kann, ist klar; diese Möglichkeit lässt mich aber ruhig schlafen.
Der oft implizit geäußerte Vorwurf, Abtreibungen ließen mich kalt, ist eine dermaßen unverschämte Verleumdung, daß ich vielleicht nicht weiter darauf eingehen sollte – Dummheit gepaart mit Frechheit muss man nicht allzusehr beachten. Ich kann es trotzdem nicht lassen.

Halten wir fest: Es gibt weit mehr Abtreibungen als Coronafälle. Ja, das stimmt.
Und was daran ist vergleichbar?

1. Corona ist infektiös. Abtreibung nicht.
2. Corona ist eine Krankheit. Abtreibung ist ein Verbrechen.
3. Gegen Corona kann ich mich und andere bis zu einem gewissen Grade durch Abstandhalten, Maske und Händewaschen schützen. Gegen Abtreibung muss ich mich selbst nicht schützen und kann andere nur durch Aufklärung und Hilfe schützen, was sehr viel schwieriger ist als die gegen Corona wirksamen Maßnahmen.
4. Eine einzige Vergleichbarkeit gibt es: Man kann seinen Nächsten durch Corona ebenso zu Tode bringen wie durch Abtreibung. Nur ist die Beziehung und das Alter dieses Nächsten grundverschieden – hier der Nachbar mit schwachem Immunsystem, dort das Kind im eigenen Bauch.

Ich überlasse es dem Leser, die Vergleichbarkeit zwischen dem neuen, noch lange nicht vollständig erforschten Corona, gegen das es bislang kein Heilmittel gibt, und anderen Krankheiten oder Unfällen zu prüfen.

Kürzlich erreichte mich die Argumentation, es gebe ja so gut wie keine Todesfälle durch Corona in deutschen Krankenhäusern. Ja sicher. Deutsche Krankenhäuser sind gut ausgestattet, das Personal ist gut ausgebildet. Was aber in Zuschriften daraus gemacht wird, ist empörend unlogisch. Da wird in einem Brief auch schon mal aus „so gut wie keine“ ein „gar keine“, da werden elende Todesfälle verschwiegen, und vor allem wird großzügig übersehen, daß überall, wo strenge Regeln eingehalten werden, die Infektionskurve flacher wird, und überall, wo das nicht geschieht, die Infektionskurve steiler wird. Deutschland vor und nach den Lockerungen ist ein schönes Beispiel dafür.

Man kann davon ausgehen, daß durch Dummheit mehr Unfälle passieren als durch Bosheit. Nach dem vorliegenden Argumentationsmuster dürfte man demnach gegen Bosheit nicht mehr energisch vorgehen, solange die Dummheit nicht ausgerottet ist.

Schließlich an die fleißigen Veröffentlicher von Statistiken über verschiedene Todesarten noch ein Hinweis: Der implizite Vorwurf, wer sich und andere gegen eine Sache schützen möchte, lässt alle anderen unbeachtet, ist entweder sehr, sehr dumm oder sehr, sehr böse. Vielleicht auch beides.

Da ich von Diskussionen zu diesem Thema die Schnauze gestrichen voll habe, ist die Kommentarfunktion für diesen Artikel abgeschaltet. Ob ich sie für künftige Artikel wieder einschalte, weiß ich nicht.

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Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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