Beim Putzen gedichtet

Leichenhalle

Hier wird nicht oft gelagert. Heutzutage
ist nicht besonders hoch die Sterberate,
der Sargraum oben fasst auch zwei, drei Särge.
Die Halle hält man frei für alle Fälle.

Nicht frei ist sie von Staub und Spinnen. Kippen
und Stücke ausgeblühten Kalks und welke Blätter
von Rosen – manchmal steht ja doch ein Sarg hier.

Am Lastenaufzug ein Gestell auf Rädern,
verstaubt ein Kruzifix hängt gegenüber.
Im Dämmer unter trüben Kellerfenstern
stehn Kerzenleuchter, und im Nebenraume
Gestelle, weitre Leuchter, eine Kniebank
und eine Abfalltonne („nur organisch” –
womit gemeint ist: nur für Laub und Blüten),
und alles voll mit Staub und Spinnenweben.

Ich fege Boden, Wände, Decken, fülle
mit Staub und Dreck den Eimer und die Nase.
Ich bin gehüllt in eine graue Wolke,
und Spinnen fliehen, Spinnen kehren wieder.

Den Kruzifix befrei ich auch vom Staube,
küss ihm die Füße, bitte Gott um Gnade
für den, der hier als nächster wird gelagert.

Dann geh ich hoch mit einem Eimer Staub.

© Claudia Sperlich

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Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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4 Antworten zu Beim Putzen gedichtet

  1. akinom schreibt:

    Immerhin: Trotz Spinnen Dreck und Staub Särge und ein Kreuz! Hoffentlich werden sie nicht zu veralteten Exotenund auch nicht Sterbebegleitung und Krankensalbung! Achten wir Menschen vom Mutterleib an. Sonst werden sie schließlich in unserer Wahrnehmung nur zu „organischem Abfall“ und Dünger.
    Danke, Frau Sperlich für Ihren Einsatz und das schauerliche Sonett!

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    • Claudia Sperlich schreibt:

      Zwar kein SONETT, aber auch ein Gedicht. 😉
      Um diesen Friedhof und die dazugehörige Kirche mache ich mir keine Sorgen, da geht es rite et recte zu. Die Leichenhalle ist nicht prägend.

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  2. Hans-Jürgen Caspar schreibt:

    Liebe Frau Sperlich,
    Sie sind mit Ihren Gedichten, so auch mit diesem letzten, eine große Künstlerin. Danke!
    Herzliche Grüße,
    H.-J. Caspar

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