Ich höre es in ermüdender Häufigkeit: Besser wenig und andächtig beten als viel und unkonzentriert Gebete herunterleiern.
Das ist das Totschlagargument gegen den Rosenkranz, gegen häufigen Gottesdienstbesuch, gegen das tägliche Stundengebet, gegen jedes Regelmaß, jede Disziplin in der Gebetspraxis – und es ist vollkommen falsch, auch wenn es ganz richtig klingt.
Gern wird dabei auch Franz von Sales zitiert: „Ein einziges andächtig gebetetes Vaterunser ist besser als viele, die man hastig und gedankenlos herunterleiert.“ Und da nicken dann die meisten weise mit den Köpfen und wissen ganz sicher, daß sie selbst auf jeden Fall nur andächtig beten wollen, das heißt, nur beten, wenn sie Andachtsgefühle aufbringen können.
Aber genau das hat Franz von Sales nicht gemeint. Im Gegenteil schreibt er in seinem Werk Philothea (Anleitung zum frommen Leben) ausführlich über die Notwendigkeit des Gebetes, empfiehlt, den Tag mit einer Stunde des betrachtenden Gebetes zu beginnen, möglichst in der Kirche, also in morgendlicher Frische des Geistes und unabgelenkt. Er gibt dabei dem Herzensgebet den Vorrang, weiß aber auch, daß dies innere Beten nicht jedem gegeben ist. Er nennt den Rosenkranz „eine sehr nützliche Gebetsform“. Mit Franz von Sales gegen sehr häufiges Gebet argumentieren ist grundfalsch.
Natürlich soll man Gebete möglichst nicht herunterleiern. Aber wer nur dann betet, wenn ihm so richtig andächtig zumute ist, wird in trockenen Zeiten wenig bis gar nicht beten – und dann bleiben die Zeiten trocken. Ein unkonzentriert gehaspeltes Vaterunser ist immer noch viel besser als gar kein Gebet!
Beten hat mit allen anderen Tätigkeiten gemein, daß man es am besten lernt, indem man es tut, und daß es nicht immer gleich gut gelingt. Gott nimmt das geleierte und unkonzentrierte Gebet eines Menschen, der aus Treue betet, auch wenn er gerade Kopf und Herz voll von allem möglichen anderen hat, ebenso liebevoll an wie das innigste Herzensgebet eines Mystikers. Das heißt nicht, daß man sich nicht um Konzentration bemühen soll! Aber es tröstet, wenn die Konzentration nicht gelingt.
Wer keine Andacht hat und deshalb nicht betet, benimmt sich wie ein Sportler, der keine Lust hat und deshalb nicht trainiert. Letzterer wird nicht lange Sportler bleiben.
Nur aus Treue und Pflichtbewußtsein gesprochene Gebete mögen dem Beter selbst erst einmal wertlos scheinen. Aber der Beter hat für die Dauer der Gebete seine Zeit Gott gegeben. Etwas Besseres kann man mit der Zeit nicht tun. Auch trägt regelmäßiges Gebet immer Früchte – innere Ruhe und Freude gehören dazu. Und Andacht, immer öfter.
Chapeau. Auf den Punkt.
Es wäre interessant zu erfahren, ob sich mehr Andacht einstellt, wenn man seltener betet.
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Wahrscheinlich auch nicht mehr oder weniger, als mit oder ohne selteneres Beten. Denn ich denke, dass das Beten in jedem Fall von innen herauskommen muss, sonst hilft ein stoischen Aufzählen nämlich auch nichts. Es kann aber helfen zu verinnerlichen!
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Wenn man es nicht schafft, „von innen heraus“, also andächtig, zu beten, ist ein stoisches „dennoch beten“ weit besser als nichts. Wie gesagt – man schenkt Gott dann eben seine Zeit und Mühe mit dem Gebet, und das wirkt wie ein Training, zu dem man eigentlich keine Lust hatte. Die Andacht ist keine Eigenleistung, sondern Gnade.
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Wenn man seltener betet, betet man immer seltener. Der Vergleich mit dem Sportler stimmt schon. Meine Erfahrung aus Zeiten, in denen ich selten gebetet habe. Nein, man wird nicht andächtiger davon, aber wenn einem die Andacht dann doch einmal geschenkt wird, bekommt man Lust, mehr zu beten.
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Ein paar ganz praktische Überlegungen:
Zum einen trainiert man durch häufiges Beten, das Auswendiglernen und -behalten von bestimmten Gebeten.
Das kann dann in bestimmten Situationen des Lebens, wo man keine Gebetstexte zur Hand hat, sehr hilfreich sein – z.B. im Krankenhaus, im Pflegeheim, Hospiz etc.
Zum anderen: Ich komme ca. 30 min vor der Hl. Messe in die Kirche (so finde ich auch noch einen guten Parkplatz) und bete nacheinander aus meinem eigenen Gotteslob-Gebetbuch (NGL) zahlreiche Gebete in den verschiedensten Anliegen, z.B. für unser Volk als Dank für die friedliche Wiedervereinigung, für die Kirche und für die verfolgten Christen, für den amtierenden und den emeritierten Papst, unseren Bischof und Weihbischof, die Priester, Einheit der christlichen Kirche, um geistliche Berufungen, für die Christen in China, für katholische Theologie-Professoren und Religionslehrer, für die Bekehrung von best. Angehörigen, für einige mir nahestehende Verstorbene, für die Gesundung einiger mir bes. nahestehender Menschen, für ein paar Kommunionkinder, für die wir eine Gebetspatenschaft übernommen haben, für die Bekehrung von Freimaurern wg. eines früheren Kommilitonen, für die Sterbenden des betr. Tages und der betr. Nacht sowie das sog. Große Glaubensbekenntnis und das Athanasianische Glaubensbekenntnis etc.
Das sind sehr viele Gebete, deren Texte z.T. im NGL stehen (z.B. best. Psalm), z.T. aus dem alten Gotteslob-Gebetbuch herausgeschrieben sind und ins NGL eingeklebt wurden (über die m.E. entbehrlichen Strichzeichnungen) oder die ich als Gebetszettel lose ins NGL eingelegt habe.
Ich habe mir eine Liste gefertigt und vorne lose eingelegt, welches Gebet ich wo im NGL finde, und diese Liste arbeite ich nacheinander ab.
Ich mache mir da relativ wenige Gedanken, ob und wie intensiv und andächtig ich da bete und bilde mir übrigens auch überhaupt nichts darauf ein, dass ich etwa irgendwie frommer als andere Messbesuch er sei, aber ich hab oft schon festgestellt, dass ich offenbar – doch zumindest manchmal – ziemlich intensiv in meine Gebete vertieft bin und dann relativ wenig von meiner Umgebung mitbekomme.
Das ist m.E. allemal besser, als vorher gelangweilt die Leute, Küster u.s.w. bei den Messvorbereitungen etc. zu begucken.
Außerdem freut mich, dass offenbar auch andere Kirchenbesucher ebenfalls vorher ins NGL gucken statt z.B. mit den Nachbarn zu schwätzen.
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Das kann ich voll und ganz unterschreiben. Einschließlich das Zukleben der Strichzeichnungen (bei mir allerdings mit Andachtsbildchen).
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Auch gut. Hab ich vereinzelt auch gemacht.
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Der Hl. Messe kann ich dann aufmerksam und recht zufrieden und entspannt folgen.
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Der Rosenkranz ist für mich ein schönes Beispiel dafür, das Beten zu lernen: Die Vaterunser auf den großen Perlen bete ich jetzt immer für die Anliegen des Papstes; die Ave auf den kleinen Perlen sind für mich die Hintergrundmusik für meine Gedanken, die durchaus nicht immer unter der Überschrift des jeweiligen Gesätzes verweilen, sondern das Jetzt und den Alltag einbeziehen. Ich frage mich auch, ob man unandächtig nach jedem Gesätz die von der Gottesmutter in Fatima offenbarten Worte sprechen kann: „O mein Jesus, verzeihe uns unsere Sünden, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle, führe alle Seelen in den Himmel, besonders die, die Deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen.“
Die Wiederholungen der Liturgie in der heiligen Messe bewahren offenbar vor Event-Veranstaltungen mit viel Regenbogen und bunten Bändern. Oder?
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„Die Wiederholungen der Liturgie in der heiligen Messe bewahren offenbar vor Event-Veranstaltungen mit viel Regenbogen und bunten Bändern. Oder?“
Gold wert! Ja, so ist es. Die Messe ist verbindlich.
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Völlig richtig.
Wirklich völlig richtig.
Ich gebe nur zu bedenken: nu ja, die geistlichen Lehrer empfehlen regelmäßige Gebetspraxis in mehr oder minder fixer Form usw., und das ist auch schön und gut, aber für den Laien erstmal eine *Empfehlung* und keine *Vorschrift*. Daher ist es empfehlenswert, sich deswegen, weil man *das* nicht hinbekommt – und sei es nur, weil man weder die Lust noch die Selbstüberwindung aufbringt – nicht in Verzweiflung stürzen zu lassen.
Aber wenn so ein Laie dann nur in andächtiger Stimmung beten sollte, dann muß er wissen, daß das (für gewöhnlich) sein gutes *Recht* ist, aber der, der sich als Kleriker, als Ordensmitglied, durch ein Gelübde oder so weiter oder durch eine privaten Vorsatz, den er einhält, zu regelmäßigem (sagen wir:) Stundengebet verpflichtet hat, *besser* handelt.
Aus genau den angeführten Gründen ist es aber *nicht* verwerflich, wie uns die Neuerer verzählen wollen, wenn man zur Sonntagsmesse (und, while we’re at it: warum nicht auch zur Werktagsmesse) erscheint, ohne scheinbar Andacht aufbringen zu können. Das ist immer noch gut, am Sonntag ist sogar *das* die Pflicht.
Und das „Minimum“ beschränkt sich auch nicht auf die Sonntagsmesse; nach so gut wie jeder Quelle muß man unter schwerer Sünde jeden Tag beten. Ein schnell „herunter“-gebetetes Vaterunser ist somit um *Welten* besser als *gar* nicht zu beten. Und übrigens ist ein schnell heruntergebeteter Rosenkranz auch ein gutes Stück besser als ein schnell heruntergebetetes Vaterunser – zumal man wohl sagen kann, daß wenn nicht ganz exzeptionelle Bedingungen (psychischer Art etc.) auftreten, einen Rosenkranz (wenn man ihn schon kennt und nicht gerade erst einübt, aber das ist ja auch etwas wert und zahlt sich in Zukunft aus) gar nicht (ehrlich) „herunter-„beten *kann*, ohne daß dabei auch Andacht aufkommt.
Als Hilfe zum Konzentrieren ist der alte, banale Trick zumeist erstaunlich nützlich, *laut* (oder flüsternd) zu beten und nicht nur im Kopf. Im Kopf kann man viel schnell auf einmal denken, wenn man sprechen muß, braucht man einfach mehr Zeit.
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PS: Speziell beim *Rosenkranz* ist das schnelle Herunterbeten sogar in gewissem Sinn der Sinn der Sache, und es ist allemal besser, eine halbe Stunde alleine mit dem Beten von zwei Rosenkränzen zu verbringen, als sie alleine mit dem Beten von einem Rosenkranz zu verbringen (wobei das natürlich *auch* nicht verkehrt ist). Wir meditieren ja beim Rosenkranz über die *Rosenkranzgeheimnisse*; *dafür* ist er da. Die Avemarias bilden die „Hintergrundmusik“.
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Lieber Nepomuk, entschuldige bitte, daß ich erst heute freigeschaltet habe – ich war einige Tage so gut wie gar nicht auf meinem Blog und habe nicht hingeschaut.
Sodann herzlichen Dank für diese sehr gute Ergänzung.
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Pingback: 2018-07-27 | Gebet – Was ist wichtiger: Qualität oder Quantität? | Gebetsgruppe St. Josef, Aachen