Besonders im Zusammenhang mit Maria und den Heiligen hören Katholiken immer wieder den Vorwurf, andere als Gott anzubeten. In jüngster Zeit stelle ich fest, daß dieser Vorwurf besonders mit einer Vermengung der Begriffe einhergeht.
Verehrung
Fast jeder Mensch, gläubig oder nicht, verehrt irgendjemanden. Man erweist jemandem Ehre, den man hochschätzt und von dem man annimmt, daß er für einen selbst ein Vorbild sein kann. Legitime Formen der Verehrung Verstorbener sind Grabmale, überhaupt Bestattungs- und Friedhofskultur, sowie Denkmäler und Gedenkstätten. Der Begriff „Denkmal“ kann dabei sehr weit gefasst werden; auch die Benennung einer Straße, einer Schule, einer Klinik, sogar einer Gaststätte oder eines Sterns, kann ein Denkmal sein und eine besondere Form der Verehrung. Ich glaube kaum, daß die Evangelikalen, die mir gelegentlich sehr wortreich und resistent gegen jede Argumentation unbiblischen Totenkult vorwerfen, Denkmäler von Calvin oder Luther schleifen und die Paul-Gerhardt-Schule umbenennen wollen. Oder daß sie sich selbst verbieten, die Gräber ihrer Lieben zu besuchen.
Katholiken verehren Lebende – allen voran den lebendigen Gott, aber auch Menschen, Freunde, zu denen sie aufblicken, in aller Regel Eltern, Paten und den Ehepartner („lieben, achten und ehren“ gehört zum Eheversprechen). Dabei machen sie einen graduellen, aber nicht prinzipiellen Unterschied, ob diese Menschen noch auf der Erde leben oder schon bei Gott. Soweit ich weiß, hören auch Verwaiste und Verwitwete anderer Konfessionen oder Religionen nicht auf, Eltern und Ehepartner zu lieben (und das beinhaltet im Regelfall: zu ehren).
Gott ist ein Gott der Lebenden, nicht der Toten. Die Verstorbenen sind, sofern sie sich nicht bewusst und schuldfähig von Ihm losgesagt haben, in Ihm geborgen. Bei einigen ist die Kirche darüber so sicher, daß sie Selige oder Heilige genannt werden.
Es ist vollkommen normal, ein Grab mit Blumen zu schmücken, dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken zu bewahren. Nicht weniger normal ist es, an einem Denkmal zu verweilen, an den zu denken, dem es gilt – und sofern man ihn als Vorbild sieht, dies mit freundlichen und ehrerbietigen Gedanken zu tun. Ich habe selbst kein Problem damit, so zu handeln, wenn das Denkmal einen Heiligen darstellt und in einer Kirche steht. Und da ich weiß, daß der Mensch, dem dies Denkmal gilt, bei Gott lebt, kann ich auch anderswo und jederzeit zu ihm sprechen, ihn um Hilfe und Fürbitte angehen. Damit wären wir beim
Gebet.
Es gibt viele Formen von Gebet: Meditation, Lobpreis, Bitte, Dank. Und jedes Gebet hat als Adressaten Gott.
Halt… was ist denn mit den Gebeten zu Maria und den Heiligen? – Auch in ihnen richtet der Beter sich an Gott. Es ist unmöglich, etwas von einem Heiligen zu erbitten, was Gottes Willen widerspricht. Im Gebet zu Maria und den Heiligen bittet man einen Freund, eine Freundin, die vom gekreuzigten Heiland selbst geschenkte Mutter um Schutz oder Hilfe, oder man bedankt sich für erhaltene Hilfe, oder man sagt einfach mal: Ich freue mich, daß es dich gibt. Nicht viel anders als gegenüber auf Erden lebenden Freunden. Kein Mensch wird es als unfromm oder götzendienerisch ansehen, wenn ich einen Freund, der größer und stärker ist als ich, um Begleitung auf dem spätabendlichen Heimweg bitte. Oder wenn ich eine Freundin um Rat frage, um Hilfe bitte. Und schon gar nicht, wenn ich Freunden einfach mal Danke sage und etwas Schönes schenke.
Gott ist ein Gott der Lebenden, nicht der Toten. Wer mit Gott versöhnt stirbt, lebt bei Ihm. Und wer so lebt, an den kann man sich wenden. Das ist möglich, weil Gott groß ist und weil Er will, daß wir einander lieben und helfen und füreinander einstehen.
Anbetung
gebührt Gott allein. Anbeten heißt: Dankbar anerkennen, daß Gott der Ich-bin-da ist. Anbetung gelingt nicht so sehr durch Worte (die ja eine intellektuelle Leistung sind), sondern durch „Versenkung“, durch das Loslassen der Gedanken, so gut man es vermag, das bloße innere Betrachten und Bestaunen der Größe und Liebe Gottes. Der Anbetung vergleichbar – nicht gleichzusetzen! – ist die Haltung eines verliebten Menschen, der seinen Liebsten, seine Liebste anschaut und dabei nicht mehr denkt als „Du bist so schön – ich liebe dich so – du liebst mich“. Zugleich ist Anbetung ganz anders, weil sie sich auf den ganz Anderen, auf Gott, richtet und nur auf ihn richten darf. (Zwischenmenschliche Beziehungen, in denen ein Partner vergöttert wird, gehen schief.) Anbetung erkennt an, daß ihr „Objekt“ unerreichbar groß, gut und allmächtig ist. Deshalb ist es aberwitzig, irgendjemanden außer Gott anzubeten.
Verehren, beten, anbeten – drei verschiedene Tätigkeiten, die es zu unterscheiden gilt. Drei sinnvolle Tätigkeiten, sofern sie sich auf sinnvolle Adressaten richten.